Breadcrumb-Navigation

Der Film "The Zone of Interest" (2023), Rudolf Höß und das MARCHIVUM-Projekt "Zwei Wege nach Auschwitz" (2018)

Kategorien
Die Mutter Hedwig Höß steht mit ihren Kindern in einem Garten an einer Wasserrutsche. Der Garten ist die Villa Höß im KZ Auschwitz

Auf der einen Seite der jüngst mit zwei Oscars prämierte Spielfilm "The Zone of Interest" von Jonathan Glazer, auf der anderen Seite das Film- und Buchprojekt "Zwei Wege nach Auschwitz", das 2018 vom MARCHIVUM umgesetzt wurde. Was haben beide miteinander zu tun?

 


Der Film "Die Köchin des Kommandanten" erschien 2018 auch als DVD, hier das Cover (links). Im Buch der "Kommandant und die Bibelforscherin..." finden sich zahlreiche Dokumente, Abbildungen: MARCHIVUM

Beide handeln von Rudolf Höß, dem ehemaligen Kommandanten des KZ Auschwitz, bei beiden ist die Dienstvilla Höß, die ganz nah am Konzentrationslager Auschwitz liegt, Ort der Handlung, zumindest in Teilen. So heißt es im Buch:

"Im Schatten des alten Krematoriums und nur einen Steinwurf vom Stammlager [des Konzentrationslagers Auschwitz] entfernt bewohnte die Familie eine geräumige Villa mit großem Garten und Gewächshaus sowie einem kleinen Schwimmbecken mit Rutsche für die Kinder. Hier empfingen Höß und seine Frau Hedwig die örtlichen SS-Funktionäre und eine Vielzahl von Gästen, die dienstlich oder aus privatem Interesse Auschwitz besuchten, zu festlichen Abendessen, bei denen es an nichts fehlte."


Hedwig Höß mit ihren Kindern im Planschbecken im Garten der Villa Höß in Auschwitz, 1942. Im Hintergrund eine Gewächshausanlage, (Bildauschnitt), Abbildung: Rainer Höß/Institut für Zeitgeschichte München

Spielfilm wie auch in Teilen das Buch- und Filmprojekt erzählen vom Alltagsleben der Familie Höß in ihrem Haus und den dort eingesetzten Häftlingen. Während Hedwig Höß, die Gattin des KZ-Kommandanten, dort ihr kleines "Paradies" mit Garten und Swimming-Pool zu erschaffen suchte, mussten KZ-Häftlinge hierfür Sklavenarbeit verrichten, ohne zu wissen, ob sie den nächsten Tag noch erleben würden.


Links: Lagerausweis für Sophie Stippel für das KZ Auschwitz vom 26. Juli 1943, unterschrieben von Rudolf Höß. Das Passfoto wurde vermutlich direkt nach der Verhaftung 1938 aufgenommen, Abbildung: MARCHIVUM. Auf dem Passfoto (rechts) von 1944 sieht man Sophie Stippel die schweren Haftbedingen der langen KZ-Zeit in Ravensbrück und Auschwitz deutlich an, Abbildung: MARCHIVUM

"Zwei Wege nach Auschwitz" aber erzählt umfangreich die ganzen Lebenswege von Rudolf Höß und Sophie Stippel, einer Zeugin Jehovas, die Höß aus seiner Zeit in Mannheim kannte und die im Konzentrationslager als Gefangene in seinem Haushalt als Köchin arbeiten musste. Dagegen stehen im Spielfilm "The Zone of Interest" der häusliche Alltag des Ehepaars Höß in ihrer Dienstvilla in Auschwitz im Fokus. Die im und am Haus eingesetzten Gefangenen spielen im Spielfilm bewusst nur eine Nebenrolle und scheinen in Teilen in der Handlung gar zu verschwinden. Das unmenschliche Grauen im Lager nebenan wird nur unterschwellig durch Geräusche oder Ereignisse in unzähligen, oft dicht aufeinander folgenden Andeutungen deutlich. Trotz vielerlei beachtenswerter Detailtreue, z.B. der exakt nachgebaute Garten, darf man nicht außer Acht lassen, dass es sich um einen Spielfilm handelt, der auf einer Romanvorlange basiert und sich daher nicht in allem an realen Forschungsergebnissen orientiert, sondern sich künstlerischer Freiheiten bedient, um eine eigene Fokussierung und Interpretation zu vermitteln.


Familie Höß beim Sonntagskaffee im Garten ihrer Villa in Auschwitz, 1942 (Bildauschnitt), Abbildung: Rainer Höß/Institut für Zeitgeschichte München

Wenn die Häftlinge im Spielfilm kaum aktiv sprechen oder eigenständig sind, so bedeutet dies nicht, dass dies der Wirklichkeit entsprochen hat. Umfangreiche Aktivitäten und Vernetzung der Häftlinge sind gut dokumentiert. Ein Beispiel schildert der KZ-Häftling Stanislaw Dubiel in Bezug auf Sophie Stippel:

"Sowohl die Frau Stipel [sic!] wie auch ihre Kameradin haben uns immer die Gespräche über Lagerangelegenheiten berichtet, die sie mit anhörten, sie warnten uns, wenn es notwendig war, besondere Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, wenn eine Denunziation oder sonst ein Unglück drohte. Dank ihrer Hilfe konnten wir in vielen Fällen das Ärgste verhüten."

"Zwei Wege nach Auschwitz" beleuchtet in einem Dokumentarfilm und einem wissenschaftlich fundierten Buch die Geschichte von Höß und Stippel, setzt dabei aber unterschiedliche Schwerpunkte. Was im Spielfilm wie bei "Zwei Wege nach Auschwitz" aber deutlich wird, ist, dass die Darstellung des Familienliebens, wie sie Rudolf Höß in seiner Autobiographie zeichnet, so nicht stimmen kann. So behauptet er:

"Ja meine Familie hatte es in Auschwitz gut. Jeder Wunsch den meine Frau, den meine Kinder hatten wurde erfüllt […]. Meine Frau hatte ihr Blumenparadies. Die Häftlinge taten alles, um meine Frau, um den Kinder etwas Liebes zu tun, um ihnen eine Aufmerksamkeit zu erweisen. Es wird wohl kein ehemaliger Häftling sagen können, daß er je in unserem Haus irgendwie schlecht behandelt worden sei. Meine Frau hätte am liebsten jedem Häftling, der irgendetwas bei uns zu tun hatte, etwas geschenkt."

Man könnte fast den Eindruck gewinnen, Hedwig Höß wäre eine gutherzige Frau gewesen, besorgt um die Häftlinge, voller Empathie für diese. Zwar gab es nach 1945 nicht mehr viele unter diesen, die über ihre Erfahrungen in der Villa Höß berichten konnten, nur wenige überlebten die KZ-Haft. Aber, dass die Eigendarstellung von Höß eine absurde Verzerrung der Wirklichkeit ist, dafür gibt es zahlreiche Belege. So bezeugte Stanislaw Dubiel in seiner Aussage, wie empathielos das Ehepaar tatsächlich war, wenn er etwa für die zahlreichen Empfänge und Veranstaltungen in der Villa Lebensmittel zu "organisieren" hatte:

"Das Lebensmittelmagazin war damals gut versorgt, weil darin auch Lebensmittel aufbewahrt wurden, die man den Juden abgenommen hatte, die in Massentransporten nach Auschwitz gekommen und in der Mehrzahl gleich aus diesen Transporten direkt ins Gas geführt worden waren. Aus diesem Magazin entnahm ich für die Privatwirtschaft von Höß: Zucker, Mehl, Margarine, verschiedene Arten Backpulver, Suppengewürze, Makkaroni, Haferflocken, Kakao, Zimt, Gries, Erbsen und andere Lebensmittel. Die Frau Höss war nie zufrieden, sie führte immer wieder mit mir Gespräche, in welchen sie erwähnte, was ihr im Haushalt fehle, indem sie mir auf diese Art zu verstehen gab, woran ich mich zu bemühen hätte. Mit diesen Lebensmitteln versorgte sie nicht nur ihre eigene Küche, sondern schickte sie zum Teil auch ihrem Verwandten in Deutschland. […] Indem er dergestalt für seine eigenen Zwecke die Arbeit der Häftlinge und die Lagervorräte ausnützte, hatte Höß seinen eigenen Haushalt so hervorragend gut eingerichtet und ausgestattet, dass seine Frau erklärte, "hier will ich leben und sterben.""

Die Häftlinge mussten in dem KZ-Lagersystem versuchen, nicht aufzufallen, alle Wünsche irgendwie zu erfüllen, um zu überleben. Aber eine Garantie gab es nie.


Ausschnitte aus einem Brief (links) mit Adressfeld und Briefmarke (rechts) von Sophie Stippel, den sie am 16. Mai 1944 aus dem KZ Auschwitz an Tocher und Schwiegersohn verfasste, Abbildungen: MARCHIVUM

Nur wenige schafften es, wie Stanislaw Dubiel und Sophie Stippel, die Inhaftierung im KZ Auschwitz und die darauffolgenden Ereignisse zu überleben. Sophie Stippel schrieb ein knappes Jahr vor Kriegsende, am 16. Mai 1944, an ihre Tochter aus Auschwitz:

"… Jetzt ist‘s wieder Frühling, draußen blüht alles in schönster Pracht, der 8. in der Gefangenschaft wer hätte das einmal gedacht und noch ist sie nicht zu Ende, ja Geduld ist nötig."

Sophie Stippel, die den jungen Schüler Rudolf Höß aus Mannheim kannte und nur wegen ihres Glaubens als Zeugin Jehovas in die Fänge des NS-Regimes geriet, sollte überleben und wieder nach Hause zurückkehren. Eine bislang unbekannte Täter-Opfer-Geschichte konnte das MARCHIVUM-Projekt aufzeigen, zugleich nachweisen, wie falsch die Angaben von Rudolf Höß zu seinem angeblichen Leben aus "großbürgerlichem Hause" in Mannheim sind.

Und dennoch: Weder der Spielfilm noch die Dokumentationen des MARCHIVUM können auf alle Aspekte eingehen. Weltweit sind intensive Projekte und Forschungen über Abläufe, Ursachen und Mechanismen des Holocausts zu beobachten. Der Film "The Zone of Interest" hat bewirkt, dass man wieder darüber spricht, die Perspektive wechselt und ein Täterleben am Ort des Geschehens schildert. Neue Fragen werden gestellt und Antworten gesucht. Und so bleibt uns nur, weiter zu forschen, um vielleicht mit mehr Wissen über "die Banalität des Bösen" (Hannah Arendt) mehr Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen.


Nach der Heimkehr im Sommer 1946: Vier Generationen auf einem Bild vereint: Sophie Stippel mit ihrem Enkel auf dem Arm, rechts daneben ihre Mutter Barbara und ihre Tochter Edith, Abbildung: MARCHIVUM

Weitere Informationen zur Publikation "Der Kommandant und die Bibelforscherin" sowie zur DVD "Die Köchin des Kommandenten" finden Sie im MARCHIVUM-Shop.